Wozu braucht ein General für seinen Krieg eine ganze Armee, wenn es auch eine einzelne Person tut? Führte man eine solche Frage in einer beliebigen Kriegssituation an, würde man vermutlich allein für die gedankliche Urheberschaft allseitig für verrückt erklärt werden. Doch vollumfassend scheint diese zunächst verständliche Einordnung nicht zu greifen, gibt es Krieg und Kampf ja nicht nur in der realen, sondern auch in der fiktiven, spezifischer in der virtuellen Welt. Entgegen der irdischen Gebundenheit an physische Gesetze und geografische Gegebenheiten wähnen sich fiktive Kampf- und Kriegsszenarien in konzeptioneller Gedankenfreiheit. Das könnte beispielsweise bedeuten: Eine Millionen Mann gehen in ein Duell gegen ein kleines unbewaffnetes Mädchen – und verlieren. Was in der tatsächlichen Welt völlig absurd scheint ist beispielsweise im Medium Film ein leicht realisierbarer Umstand. Dabei tritt vor allem eine Komponente elementar in den Vordergrund: Effekte. Effekte bilden seit jeher ein unverzichtbares Hilfsmittel mit Unterstützung dessen Filmschaffende Szenarien auf die Leinwand oder den Fernsehbildschirm zaubern können, welche dem Publikum sonst verborgen blieben. Das Ganze ist dabei unabhängig davon zu betrachten ob es sich um vergangene Analogtechnik oder heutige Digitaltechnik handelt. Kleinere Kämpfe zwischen Einzelpersonen oder die große Schlacht zwischen verfeindeten Fraktionen – alles kann durch Effektarbeit aufgewertet werden. Gleichzeitig trägt ein theoretisches Übermaß an Effekten, gerade im digitalen Bereich, aber auch zu Verlust bei. Details erkennt man im Wust von Farben und Animationen nämlich oft wenig bis gar nicht. Ein geworfenes Messer, ein abgefeuerter Schuss – selbst tödliche Details bleiben fast unsichtbar. Der Tod einer Figur, wenngleich diese nur im Hintergrund auftaucht, wird so fast schon egal, wodurch Figuren plötzlich austauschbar werden und so ihrer Individualität beraubt werden. Stichwort ‚Individualität‘: Diese kann zur emotionalen Bindung des Publikums an einzelne Figuren beitragen. Dabei ist es egal ob sich diese durch Aussehen, bestimmte Verhaltensweisen oder Dialogzeilen auszeichnet. Wir fühlen in gewisser Weise mit Figuren, wenn wir sie zumindest ein Stück weit besser kennenlernen. Sie werden menschlich, zumal sie oft ja auch von Menschen gespielt werden. Austauschbare ‚Objekte‘ lassen das vermissen. Versteht man Gemeinschaft als eine Ansammlung eben solcher Individuen mit emotionalem Bindungspotenzial steht man so ab und an einem Dilemma gegenüber. Man könnte fast schon von einer ‚falschen Gemeinschaft‘ sprechen. Um das Ganze in eine Kochmetapher zu packen: Auf Kosten einer emotionalen Bindung an Figuren wirft man Individuen in einen Topf, reichert diesen mit digitalen Effekten an und bekommt am Ende einen Brei serviert der zwar wie eine Gemeinschaft schmecken soll, dessen Nachgeschmack aber ein sehr viel bitterer ist. Um das auch filmisch zu verdeutlichen reisen wir gemeinsam zu den Anfängen eines Meisterkochs, der dieses Rezept perfektioniert hat und biegen ab in eine weit entfernte Galaxis.
1977 kommt mit Star Wars (USA, 1977, George Lucas) ein riesengroßer Kassenerfolg in die Kinos, der das bis heute wohl profitabelste Filmfranchise begründet und die Filmwelt in vielerlei Hinsicht maßgeblich beeinflusst und revolutioniert. Zwischen 1977 und 1983 erscheinen die drei Filme der originalen Star Wars-Trilogie in den Kinos und begeistern ein Massenpublikum. Nicht nur die Geschichte um den jungen Luke Skywalker (Mark Hamill) und seinen Kampf gegen das diktatorische Empire weiß dabei zu begeistern. Noch vielmehr ist es wohl die Welt in die die Geschichte eingebettet ist und in der sich Lebewesen aller Couleur zu den verschiedensten Anlässen zusammenfinden. Die Sturmtruppen auf dem imperialen Todesstern, die Sandmenschen auf Tatooine oder zwielichtige Gestalten in der Cantina Bar auf Mos Eisley – sie alle tragen zu einem großen, beeindruckenden Gesamtbild bei, welches so auch immer wieder die Frage nach der Größe der innerfilmischen Welt provoziert. Im modernen Filmjargon könne man auch von ‚gelungenem worldbuilding‘ sprechen. Das Universum wirkt so greifbar, ja fast schon real. Und innerhalb dieses Universums ist genügend Platz für emotionale Bindung zu Figuren, die aufgrund unterschiedlicher Designs, unterschiedlicher Motivationen und unterschiedlicher Verhaltensweisen Platz für eben diese Bindung bieten. Ziehen diese in den Kampf, wie beispielsweise die Sturmtruppen gegen Luke Skywalker auf dem Todesstern, so fühlen wir doch zumindest ein Stück weit mit ihnen, haben sie beispielsweise verschiedene Dialogzeilen, an die wir uns bildlich erinnern.
22 Jahre später stellt sich die Situation etwas anders dar. Mit Star Wars: Episode I - The Phantom Menace (USA, 1999, George Lucas) erzählt Lucas den ersten Teil der Vorgeschichte zu seinem großen Erfolg von 1977 und schafft als einer der ersten Regisseure, das Kunstwerk seinen Film fast vollends auf digitale Effekte zu stützen. Sichtbar wird das vor allem in der Opulenz der innerhalb des Films eröffneten Szenarien. Natürlich haben wir es auch schon im Film von 1977 mit computergenerierten Effekten zu tun, jedoch ist der Maßstab zu diesem Zeitpunkt ein völlig anderer. Ende der 1990er Jahre haben Computer massenweise Einzug in die Pre- und Postproduktion von Real- und Animationsfilmen gefunden und es wird weniger mit praktischen Effekten gearbeitet. Das zeigt sich in Star Wars: Episode I - The Phantom Menace nicht nur in den Hintergründen, die zu großen Teilen digital um die Schauspieler*innen herum eingefügt wurden, sondern vor allem auch in den bereits heraufbeschworenen Schlacht- und Kriegsszenarien.
Trotz aller Opulenz weicht der Hintergrund einer Effektmasse, in der Laserstrahlen durch die Luft peitschen und man ab einem gewissen Punkt nichtmehr weiß, wo hinten und wo vorne ist und welche Figur jetzt genau wie gestorben ist. Spätestens in den beiden Nachfolgefilmen Star Wars: Episode II - Attack of the Clones (USA, 2002, George Lucas) und Star Wars: Episode III - Revenge of the Sith (USA, 2005, George Lucas) tritt das gerade in Hinblick auf die Gemeinschaft der Droiden und die Gemeinschaft der Sturmtruppen deutlich zu Tage. Individualität weicht beispielsweise in der Schlacht um Geonosis einem grafischen Gemeinschafts- beziehungsweise Einheitsbrei, welcher zwar opulent wirkt, aber dabei ein nicht unwesentliches Detail in sich birgt. Sieht man nämlich genauer hin, erkennt man schnell, dass die riesigen Scharen alle der gleichen Modellvorlage entspringen und sich innerhalb ihrer Gruppe nur minimal unterscheiden. Das Prinzip dahinter ist simpel: Man nehme eine am Computer vorgefertigte Vorlage und kopiere sie beliebig oft in eine beliebige Situation auf beliebigem Boden. So entsteht aus einer einzelnen Figur eine ganze Figurenschar und eine gewisse Magie der Individualität geht maßgeblich verloren. Plötzlich sind da keine Eigenheiten mehr. Und damit auch keine nachvollziehbare Motivation – zumindest wirkt sie in diesem Falle mehr als egal. Im Falle von Star Wars wird dieser Mangel an Magie nochmal immanenter deutlich, wenn man sich die Qualität der mittlerweile 25 Jahre alten Effekte vor Augen führt, die alles andere als magisch ist. Lucas treibt hier das Prinzip der ‚falschen Gemeinschaft‘ auf die effekttechnische Spitze. Die einzelne Vorlage muss dafür herhalten, als allumfassendes Gemeinschaftselement zu dienen. Ironisch ausgedrückt kann man fast schon von Vereinsamung innerhalb der Gemeinschaft sprechen. Für den Ausgang der Schlacht ist das jedoch völlig irrelevant.
Bleiben wir in der Science-Fiction und kommen zu einem Beispiel, das den von Lucas angewandten Minimalismus zwar ebenfalls in sich trägt, diesen aber in einen völlig anderen Bezug stellt. Denn ebenfalls im Jahre 1999 erscheint The Matrix (USA, 1999, Lana & Lilly Wachowski). Die Wachowski-Schwestern erzählen die Geschichte des auserwählten Neo (Keanu Reeves) und zwingen das Publikum vor allem auf Ebene der allgemeinen Existenzfrage in ein knallhartes Duell. Genau wie Star Wars zieht auch The Matrix Fortsetzungen nach sich, insgesamt drei an der Zahl. Ein besonderes Augenmerk ist aus digitaler Effektsicht auf den zweiten Teil aus dem Jahre 2003 zu legen: In The Matrix Reloaded (USA, 2003, Lana & Lilly Wachowski) gibt es eine Kampfszene in strömendem Regen. Neo muss sich in diesem Szenario gegen eine Vielzahl von Widersachern zur Wehr setzen. Das Besondere auch hier: Neo hat es nicht mit vielen unterschiedlich designten Individuen zu tun, sondern vielmehr mit einer Reihe von gleichaussehenden Gegnern – allesamt mit dem Gesicht seines Widersachers Agent Smith (Hugo Weaving). Wenngleich hiermit natürlich das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv angesprochen wird und eine philosophische Diskussion des Geschehenen unvermeidbar scheint, haben wir es auch hier mit dem Phänomen der digitalen Duplikation einer einzelnen Vorlage zu tun. In einer anderen Welt hätte dieser Kampf auch von einer Hand voll Doubles von Hugo Weaving bestritten werden können - auf den Ausgang der Schlacht hätte das keinen Einfluss. Der wesentliche Unterschied zu Star Wars besteht dabei wohl in der Qualität der Effekte, die den Alterungsprozess definitiv weiter umschiffen konnten. Weiterführend könnte man an dieser Stelle sogar auf den dritten Matrix-Film The Matrix Revolutions (USA, 2003, Lana & Lilly Wachowski) eingehen, der ebenfalls im Jahre 2003 erschien. Hier kann es fast schon als selbstironisch in Hinblick auf digitale Effektkultur betrachtet werden, wenn die Figur des Agent Smith sich am Ende am Ziel sieht, Neo besiegt zu haben, nur um zu realisieren, dass unter dessen Fassade nur ein Ebenbild von sich selbst vorhanden ist.
Unabhängig von der heutigen Sicht auf die unterschiedliche Qualität der Effekte in den Star Wars-Filmen und in The Matrix bleibt final wohl festzuhalten, dass beiden Beispielen eine Feststellung innewohnt: Mithilfe digitaler Effekte kann man große, opulente Versammlungen auf die Leinwand bannen. Gerade auf Basis einfacher Duplikationsarbeit von Einzelvorlagen und -elementen kann man so doch eine vermeintliche Gemeinschaft auf den Bildschirm bannen, in der das Individuum wenig bis keinen Platz mehr hat. Diese ‚falsche Gemeinschaft‘ ist es, an deren Existenzberechtigung sich das eigene Urteilsvermögen abarbeiten muss. Größtmögliche Erfolg mit kleinstmöglichem Ertrag. Ein Wunsch, den sich Figuren innerhalb eines Kampfes oder einer Schlacht vermutlich immer auch auf die eigene Fahne schreiben. Betrachten wir Filmschaffende im Lichte dieser Technik als Strippenzieher*innen hinter eben solchen Szenarien, so wird schlussendlich eine Frage durchaus erlaubt sein: Wozu braucht ein General für seinen Krieg eine ganze Armee, wenn es auch eine einzelne Person tut?