Wer K.I.-generierte Unterhaltungsmedien nicht mehr von echten, menschengemachten Kulturgütern unterscheiden kann, hat ein bedauerliches Verständnis sowohl von Unterhaltung als auch von Kultur. Wenn eine künstliche Intelligenz ein Drehbuch schreibt, entstehen Standartsituationen. Ansammlungen von Phrasen oder Beschreibungen von imitierten, menschlichen Gemütszuständen. Wenn Chat-GPT z. B. der Befehl erteilt wird: „Beschreibe menschliche Gefühle!“ wird eine Aufzählung an Gefühlen ausgespuckt. Phänomene wie physiologische Reaktionen, kognitive Bewertung, subjektives Erleben oder Ausdrucksweisen werden genannt und in einem Satz konkretisiert. Desweitern werden Gefühle wie Trauer, Wut, Angst usw. aufgezählt und anhand konkreter Beispiele veranschaulicht. Am Schluss steht noch ein letzter Satz: „Emotionen sind komplex und vielfältig, sie spielen eine zentrale Rolle in unserem täglichen Leben und beeinflussen unser Denken, Verhalten und unsere sozialen Interaktionen.“ Die Maschine kennt Emotionen nur in errechneten Grundzügen, als Wahrscheinlichkeit, wird diese aber nie selbst spüren können. Ich würde sagen, eine K.I. kennt Schwarz und Weiß, aber keine Graustufen. Die Nuancen fehlen.
Dazu ist eine K.I. körperlos und hat dementsprechend keine Raumwahrnehmung. Geschweige denn artikulierbare Emotionen, die sich aus der Raumerfahrung ergeben. Sie benennt individuelle Gefühle, ohne ein Seminar von den Grundstrukturen menschlicher Psyche genossen zu haben. Bauchgefühl, psychische Störungen, Laster, Wut, Freude, Beschämung, spontane Einfälle – all das kann digital unmöglich in ihrer Tiefendimension erkundet werden. K.I. ist von Menschen gemacht, wird aber niemals eine dermaßen tiefgreifende Komplexität erreichen. Es bleibt zwar ein Produkt von menschengemachter Technologie und menschenproduzierten Daten, doch was daraus gebaut wird, ist eine Versammlung leibloser Informationen – Bits und Bytes, die sich um ein Hyperzentrum organisieren. Diese Maschine soll dann mit möglichst viel content gefüttert werden, um lernen zu können. Dies wird heute deutlicher als je zuvor, da es den großen Streamingdiensten genau darum geht, möglichst viel content zu versammeln. Content bedeutet ‚Rauminhalt‘, ‚Fassungsvermögen‘. Inhalten wird Raum gegeben und dem Urteilsvermögen des users vor Augen geführt. Das Fassungsvermögen von Streamingdiensten ist schier unendlich. Hinzu kommt eine mehr oder weniger benutzerfreundliche Oberfläche, ein Bedienfeld, dass zwischen content und user vermittelt. Es liegt an den Rezipient*innen, dem riesigen Angebot Herr zu werden, um sich das passende Unterhaltungsprodukt zu Gemüte zu führen. Digitales Material versammelt sich vor den Augen der Rezipienten*innen. Der Algorithmus dahinter bleibt augenscheinlich verborgen. Schon seit Beginn des Streamens gibt es Algorithmus-basierte Empfehlungen, die den persönlichen Geschmack zu erkennen glauben – ihn aber in Wirklichkeit manipulieren und verändern. Eine weitere Illusion der um sich greifenden Automatisierung, die eine Vorauswahl und Selektion des Angebots bedeutet. Ich würde mir persönlich mehr Entscheidungsfreiheit und ein qualitativeres Angebot wünschen. Neben Eigenproduktionen gibt es noch Produkte, die von Konzernen oder Filmstudios eingekauft wurden. Lizenzen, Konglomerate an Produktionsstudios. Alles schließt sich zusammen, alles wird von mächtigen Unternehmen konzentriert, verdichtet. Gerade durch dieses Zusammengezwungen-Werden entstehen wunde Punkte, die sich bis auf die Straßen von Hollywood ausweiteten.
Der Streik der Writers Guild of America fand von Mai 2023 bis November 2023 statt. In der Geschichte der USA war es der erste Doppelstreik, in dem sich zwei Gewerkschaften zusammengetan haben, um die Aufmerksamkeit auf Ungerechtigkeiten in der Branche zu legen. Die SAG-AFTRA (Screen Actors Guilt-American Federation of Television and Radio Artists) und die AMTPT (Alliance of Motion Picture and Television Producers) protestierten gemeinsam für mehr Autorenfreiheit, mehr Arbeitsplätze und für höhere Löhne. Außerdem war die Angst, von künstlicher Intelligenz ersetzt zu werden, groß. Die zunehmende Ersetzbarkeit des im Kapitalismus sogenannten ‚Menschenmaterials‘ in Produktionsprozessen und der Einsatz nicht-menschlicher Akteure, denen noch dazu Führungspositionen übertragen werden, lässt Zukunftsszenarien erahnen, die man nicht zu Ende denken möchte. Für eine Bekämpfung der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ist ein altbewährtes Mittel wieder ins Leben gerufen worden: Der Streik als Ausdruck von Meinungsfreiheit und entschlossenem Widerstand gegen die Verhältnisse. Schon in der frühen Filmgeschichte war es beliebt und sehr wirkungsvoll, Menschenmassen kraftvoll zu inszenieren und ihnen eine destruktive, formverändernde Gestalt zu geben.
In Sergei Eisensteins Stummfilmklassiker Streik (RUS 1925, Sergei Eisenstein) gibt es am Ende eine Kollisionsmontage, die Streikende zeigt, wie sie von Kapitalisten niedergeschlagen werden, und diese Sequenz montagetechnisch mit Aufnahmen einer Bullenschlachtung verschränkt. Eisenstein lieferte eine bestechende Zeitdiagnose und fand assoziative Bilder für die gesellschaftlichen, ökonomischen Zustände. Auch auf die Gegenwart kann diese Metapher angewendet werden. Die Arbeiter*innen, die wie Vieh behandelt werden und sich den Fangarmen der großen Mächte nicht entziehen können. Die Ausbeutung wird nicht aufhören.
Die Streiks der SAG-AFTRA/ AMTPT und der Writers Guild of America sind hoffentlich erst der Anfang einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung gewesen, der es um das Aufzeigen von Missständen geht. Immerhin, der Mensch kann immer noch etwas, was K.I. nicht kann: Streiken. Da eine K.I. keinen Körper und keine Raumerfahrung – d.h. auch keine Unterdrückungserfahrung – hat, kann sie auch keine Unzufriedenheit äußern. Sie ist ja auch tatkräftig beteiligt an der Ausbeutung von Arbeitskraft. Hilft es, einfach den Stecker zu ziehen? Damit wird aber auch die Kreativität des Menschen eingeschränkt und neue Formen der digitalen Weiterentwicklung verhindert. Als Gedankenexperiment fordere ich eine Vermischung von menschengemachten und K.I.-generierten Medien. Beide müssen sich ergänzen und wie der Transhumanismus fordert, ihre Potentiale in Austausch und wechselseitiger Kritik gemeinsam erkunden. Cyborgs, halb Mensch halb Maschine, die im Kern menschliche Gedanken artikulieren und wie im Anime-Film Ghost in the Shell (JPN, 1995, Mamoru Oshii) sich die Frage stellen können, ob sie einem Meer aus Daten entspringen, oder es am Grunde der Subjektivität vielleicht doch eine humane Seinsweise gibt.
Die Hauptfigur hat ihren eigenen Geist (Ghost), der in einer künstlichen Hülle (Shell) integriert wurde. Der Cyborg fragt sich wo er/sie herkommt und wie die Außenwelt wahrzunehmen ist. Die als weiblich zu erkennende Protagonistin geht in einer Schlüsselszene in einem Meer tauchen und durchlebt mehrere Gefühle. Von Angst bis Hoffnung scheint in den unendlich wirkenden, dunklen Weiten des Meeres alles möglich zu sein. Trotzdem weiß der mechanisierte Körper nicht, wie er mit dem ‚leeren‘ Raum umgehen soll und es kommen konfligierende Gedanken des menschlichen Bewusstseins ins Spiel.
Die Unvereinbarkeit zwischen neuen Technologien und menschlichen Geisteseigentums hat eine Versammlung herauskristallisiert, die die Öffentlichkeit zu spüren bekommt. Der Streik hatte ein Aufschieben des Erscheinens von Filmen und Serien zur Folge. Eine Bremse, ein Stillstand, der sich auf Drehbuchautoren, Schauspieler und Regisseure auswirkte. Wortwörtlich muss erstmal alles stillstehen, damit eine Krise verbildlicht werden kann. Ein Streik im Falle von Hollywood ist das Ergebnis von den strukturalistischen Ausbeutungsversuchen, die jährlich im Hintergrund stattfinden, aber jetzt durch demonstrierende Menschenmassen eine neue Form gegeben wird. Die Leute, deren Namen z. B. im Filmabspann auftauchen, nur um im nächsten Moment wieder flüchtig am oberen Bildrand zu verschwinden. Drehbuchautoren*innen oder ganze Animationsstudios, deren Arbeit nicht genug zu würdigen ist. Ich fordere, dass die schlechtbezahltesten Arbeiter*innen von großen Filmproduktionen am Anfang eines Filmes stehen, damit die Aufmerksamkeit gleich auf sie gerichtet ist. Aber würde das etwas bringen, passt es ins Schema und in die Struktur eines Filmes? Sollen Namen oder die Bilder zuerst zu uns sprechen?
K.I. verändert die Machtgefüge der Gegenwart. Die Stimmen berühmter Menschen werden künstlich generiert, verstorbene Gesichter werden reproduziert. Natürlich nur mit Zustimmung der Hinterbliebenen. Wahrscheinlich. Ganze Filmposter werden K.I.-generiert, ohne dies dem Publikum zu kommunizieren. Wie im Fall des Films Civil War (USA 2024, Alex Garland), der uns plötzlich in Gestalt eines nett gemachten digitalen Bildes begegnet.
Aber ist dieses Poster nicht 0815? Erinnert es nicht an jeden beliebigen Weltuntergangsstreifen? Wir sehen ein Plakat, das aus einer Maschine stammt, die keine Raumerfahrung hat und keinerlei Vorstellungskraft, real erfahrene Räume in ansprechend imaginierte Räume zu transformieren. Eine K.I. kennt keine Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Raum. Sie verlässt nie die Privatsphäre, um in der Öffentlichkeit zu streiken, protestieren zu gehen. Dementsprechend ‚leer‘ erscheinen dann auch die computergenerierten Bilder von öffentlichen Räumen, die von einer formlosen K.I. ausgegeben werden. Die Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Monika Rinck formuliert es in ihrem Vortrag (im Rahmen des Schreiblabors) mit folgenden Worten: „K.I. kennt keine Differenz zwischen Innen und Außen, privatem und politischem Handeln.“ Das Plakat enthält eine Vielzahl von Informationen die zu einem leeren, visuellen Konglomerat zusammengerechnet wurden. Ohne Raumerfahrung und das Wissen, dass ein öffentlicher Raum mit Streiks okkupiert werden könnte, berechnet die K.I. einen leeren, unpolitischen 0815-Raum. Dies kann mit der Benutzeroberfläche von Streamingdiensten, die nur content ausgeben, verbildlicht werden. Die Streikenden füllen den öffentlich-politischen Raum aus, um auf die Vereinheitlichung digitaler Bildproduktion und Filmdistribution aufmerksam zu machen. Eine K.I. kann nicht ‚aus sich heraus‘ kommen und wird deshalb keine streikende Form annehmen können. Eine Maschine kennt auch keine Rechte. Schließlich wurde das Filmplakat von Civil War tatsächlich in der Öffentlichkeit als Werbematerial genutzt. Es gilt abzuwarten, welche Probleme oder Lösungen K.I.-generierte Eingriffe zu Tage fördern. Am Ende bleiben die Fragen an den menschlichen Subjekten hängen: Wo sind die Rechte des Einzelnen? Wie wird Autonomie in einer digitalisierten Welt erreicht, ohne auf Freiheit und kreativen Gehirnpotentiale zu verzichten? Eins ist jedenfalls sicher. Die kreativen Menschen werden sich zu neuen Massen formieren, um ihre Rechte geltend zu machen. Der K.I. ist all das egal.