Sitting Comedy

Das Zusammensitzen als Mechanik der Sitcom

Der zentrale Versammlungsort ist in der Sitcom durch die serielle Wiederholung einerseits dramaturgisches Mittel, andererseits durch die rezeptiven Riten der Zuschauenden mehrfach codiert.

Maximilian Teschner
Eine Gruppe Jugendlicher sitzt in einer Bar zusammen.
Der Platz in der Bar wird zum regelmäßigen Versammlungsort der Gruppe (HOW I MET YOUR MOTHER): Marshall (Jason Segel), Lily (Alyson Hannigan), Ted (Josh Radnor), Robin (Cobie Smulders) und Barney (Neil Patrick Harris) (v. l. n. r.).

Situational Comedy, aber auch sitting comedy. Der Humor einer Sitcom ist geprägt von dem Aufeinandertreffen und Versammeln der immer gleichen Figuren an den immer gleichen Orten. Er entsteht aus der Situation heraus. Je vertrauter die Figuren und Locations sind, desto absurder können diese Situationen sein, desto gezielter funktionieren die Gags. Das Sitzen in der Comedy ist hier erst der Katalysator, der die Situationen entstehen lässt. Die Figuren versammeln und tauschen sich über neue und alltägliche Geschehnisse aus: im Büro von Dunder Mifflin, im MacLaren’s Pub, im Central Perk, im Sacred Heart Hospital, in Seinfeld’s Apartment oder im Haus der Dunphys. Als Jesse Tyler Ferguson (Mitchell in Modern Family, US 2009 – 2020) im Mai 2024 – vier Jahre nach Ende der Show – ein Bild aus dem bekanntesten Set der Show postete,1 begann die Gerüchteküche der Modern-Family-Fans. Ein Reboot? Ein Sequel? Eine neue Staffel? Der Ort, an dem die Familie über elf Jahre und Staffeln hinweg zusammenkam, ist ein unvergleichliches Markenzeichen der Show – wie bei so vielen Sitcoms.  

Set einer Sitcom-Show: Zwei Männer und eine FRau sitzen auf der Couch, ein Mann steht dahinter.
Das Set des Dunphy-Hauses wurde für eine WhatsApp-Werbung wiederaufgebaut. Hieraus entstand der Instagram-Post von Ferguson. WhatsApp (2024): The family group chat moves to WhatsApp (https://www.youtube.com/watch?v=wn0qe7xNNaY, 22.07.2024).

Das Aufhalten an immer gleichen Orten ist einerseits produktionshistorisch bedingt. Mit I Love Lucy (US 1951 – 1957) wurde in den 1950er-Jahren eine der erste Sitcoms produziert und vor Live-Publikum aufgenommen, um den Live-Effekt der Performance einzufangen und für das Fernsehpublikum zugänglich zu machen. Mit wenigen wiederverwertbaren Sets und mehreren Kameras wurden Sitcoms noch bis in die 1990er-Jahre gleichzeitig live gefilmt, geschnitten und übertragen. Erst Sitcoms wie etwa Malcolm in the Middle (Malcolm Mittendrin; US 2000 – 2006) brachen mit diesem Konzept und wurden wie reguläre Filme und Serien ohne Publikum, aber on Location gedreht. Trotzdem bleibt auch bei Malcolm in the Middle das Konzept der Versammlungsorte bestehen: Im Haus der Familie kommen Malcolm (Frankie Muntz), Hal (Bryan Cranston), Lois (Jane Kaczmarek), Reese (Justin Berfield), Dewey (Erik Per Sullivan) und Francis (Christopher Masterson) zusammen. In dieser Versammlung entstehen komische Situationen. Erst hier wird die Situation der Komik durch das Zusammensitzen komisch.

Diese Orte der Versammlung haben einen vielfachen Zweck. Wenn bei How I Met Your Mother (US 2005 – 2014) Ted (Josh Radnor) in „The Time Travelers“ („Die Zeitreisenden“, S08F20) merkt, dass er allein im MacLaren’s Pub sitzt, reflektiert er selbst über diesen Versammlungsort. Über die bis dahin 180 Folgen verbringen Ted, Barney (Neil Patrick Harris), Lily (Alyson Hannigan), Robin (Cobie Smulders) und Marshall (Jason Segel) jede Folge in der Bar an diesem Platz. Der Versammlungsort wird zu einem Ort der Gewohnheit. Die Figuren sind gewohnt, dort zu sein, die Zuschauenden sind gewohnt, die Figuren dort zu sehen. Jedes Ausbrechen aus dieser Gewohnheit wird zu einem Bruch in der Serie. Ted ist nach acht Staffeln nun allein, die Versammlung hat sich aufgelöst.

Eine Gruppe Jugendlicher sitzt in einer Bar zusammen.
Der Platz in der Bar wird zum regelmäßigen Versammlungsort der Gruppe (HOW I MET YOUR MOTHER).

Auf eine andere Art schafft Friends (US 1994 – 2004) regelmäßig Situationen der Komik durch das Brechen von Gewohnheit. Figuren ziehen aus und zusammen, Konstellationen verändern sich. Die erste Folge beginnt damit, dass Rachel (Jennifer Aniston) bei Monica (Courteney Cox) einzieht, außerdem wohnen Chandler (Matthew Perry) und Joe (Matt LeBlanc) zusammen. Später zieht erst Joe aus, dann wieder ein, dann zieht Chandler zu Monica, Rachel dann zu Phoebe (Lisa Kudrow). Die Orte der Versammlung bleiben gleich, nur ändert sich die Beziehung der Figuren zu diesen Orten und den anderen Figuren darin. Die Umzüge lösen etwas Ungewohntes aus. Daraus können neue Situationen entstehen, aber auch neue Gewohnheiten, die wiederum gebrochen werden können - so auch in Sonderepisoden, wenn z. B. die Friends für zwei Folgen nach London reisen („The One with Ross’s Wedding“ / „Endlich Hochzeit?“, S04E23).

Die Orte werden so konkret und exakt inszeniert, dass selbst die Komposition der Möbel und der Platz, den die Figuren im Raum einnehmen, in Stein gemeißelt zu sein scheinen. Die Friends sitzen nicht nur im Café Central Perk, sondern immer genau  in dieser einen Sofa-Ecke (auch das ist teils produktionshistorisch bedingt). Das geht soweit, dass die Freundesgruppe beleidigt ist, wenn andere Gäste des Cafés dort sitzen und sie verdrängt werden („The One with the Bullies“ („Im Namen der Männlichkeit“, S02E21). Vergleichbare Momente gibt es in How I Met Your Mother, The Office (Das Büro; US 2005 – 2013) oder Seinfeld (US 1989 – 1998). Auf die Spitze getrieben wird dies nur von Sheldon (Jim Parsons), der in The Big Bang Theory (US 2007 – 2019) krampfhaft darauf besteht, immer an demselben Platz des Sofas zu sitzen.

Und wenn die Figuren in der Sitcom sich zusammensetzen, sitzen auch die Zuschauenden vor dem Fernseher zusammen. Gerade durch ihre Masse an Folgen werden Sitcoms zu Begleitern des Alltags. Nach der Arbeit, beim Essen oder jeden Abend auf dem Sofa – mit häufig bis zu zehn Staffeln und jeweils 22 Episoden bieten Sitcoms eine Masse an Sehstoff, die täglich konsumiert werden kann. Das Geschehen vor dem Fernseher wird zum Nachbild des Settings auf dem Bildschirm, sodass das Wohnzimmer zur Sitcom wird und die Sitcom-Figuren aus dem Fernsehbildraum in das Wohnzimmerreale qua Sitcom starren. Das Fernsehpublikum weiß, was es zu erwarten hat und schaut dieselbe ewigwährende Serie häufig mehrmals ununterbrochen hintereinander. Das Zusammensitzen wird zur eigenen Tradition. Sogar in den Sitcoms selbst wird die Ebene des Publikums hörbar: Lachen, buhen oder jubeln wird durch das Live-Publikum zum wesentlichen Bestandteil der Wahrnehmung und des Pacings in der Serie. Das Fernsehpublikum sitzt nicht nur selbst zusammen, sondern mit einer zeitlichen Verzögerung sogar zusammen mit dem Live-Publikum. Es kann deren Reaktionen hören und reproduzieren. Unterbewusst funktionieren viele der Witze sogar erst dadurch, weil das Fernsehpublikum hört, dass das Live-Publikum lacht – und lacht deshalb ebenfalls. Lachen ist ansteckend – und zeitigt Rückkopplungseffekte. Das eingespielte (oder live stattfindende) Lachen wird zur Verkörperung des Lachens vor dem Fernsehbildschirm – und umgekehrt wird das Lachen vor dem Fernsehbildschirm durch das Lachen des Live-Publikums bestätigt. Das geht sogar soweit, dass in How I Met Your Mother Audiospuren von einem Live-Publikum eingefügt wurden, obwohl dieses nicht existierte. Selbst wenn man die Serie allein schaut, so setzt man sich doch mit dieser Serie, ihren Figuren und dem (Nicht-)Live-Publikum zusammen. Tag für Tag oder (je nach Ausstrahlung oder Streaming-Angebot) Woche für Woche können neue oder vertraute, aber auf jeden Fall erwartbare Geschichten zusammen erlebt werden.

Leerer, dunkler Korridor in einem Spital, im Bildhintergrund steht ein Pfleger und blickt geradeaus in die Kamera.
J. D. blickt zurück auf den leeren Gang des Sacred Heart Hopsitals in SCRUBS. 

Doch selbst nach hunderten Folgen endet jede Sitcom irgendwann. Die letzte (Doppel-) Folge wirkt meistens einerseits als ein gemeinsames Abschiednehmen auf Produktions- und Rezeptionsebene und als Abschied der Figuren voneinander: Wege trennen sich, jemand zieht aus oder etwas Großes ändert sich (z. B. dass die Figuren aus Seinfeld im Gefängnis landen). In jedem Fall ist es aber auch ein Abschied von dem Ort der Versammlung. Zurück bleibt eine leere Wohnung und eine Tür schließt sich zum letzten Mal. Wenn J. D. (Zach Braff) in Scrubs (Scrubs: Die Anfänger; US 2001 – 2010) metaphorisch von der Serie Abschied nimmt, läuft er einen langen Gang im Krankenhaus, dem Hauptschauplatz der Serie,  entlang und trifft dabei ein letztes Mal auf die vielen Figuren, die er im Verlauf der Serie kennengelernt hat. Sie sehen ihn an und verweisen auf vergangene Momente, bevor sie verschwinden. J. D. dreht sich um und verlässt das Sacred Heart Hospital.

Es sind diese Orte des Versammelns, das gemeinsame Zusammensitzen, das die Mechanik der Sitcom bestimmt. Das Sitzen und Erzählen wird zum wesentlichen Auslöser der Komik. Die Figuren erleben Dinge, die sie ihren Freund:innen erzählen, damit diese darauf reagieren und auch die Zuschauenden daran teilhaben. Orte des Versammelns entstehen im doppelten Maße und werden zur Gewohnheit und Vertrautheit. Immer mehr Sitcoms lösen sich zunehmend davon. Die Handlungen spielen nun nicht mehr an einem gemütlichen Platz, sondern an mehreren Handlungsorten in anderen Situationen. Der Humor bedarf keiner festen, immer wiederkehrenden Location, aber immer noch dem Zusammenkommen und Versammeln der Figuren.

  • 1

    WhatsApp (2024): The family group chat moves to WhatsApp  (https://www.youtube.com/watch?v=wn0qe7xNNaY, 22.07.2024)