Credits im Film

Eine virtuelle Versammlung

Überlegungen zur Wahrnehmung von Würdigungen im Vor- und Nachspann eines Films und die Versammlungsauflösung im Kinosaal während des Nachspanns.

Oliver Janßen
Ein Bild von Filmcredits
THE NAKED GUN 2½: THE SMELL OF FEAR (Die nackte Kanone 2 ½, US 1991)

Was ist unter Selbstverständlichkeit zu verstehen? Ich würde sagen, etwas, das erwartet und vorausgesetzt wird, etwas, das für einen selbst vollkommen normal ist. Beispielsweise Gesundheit. Für einen Großteil der Menschen ist es wohl eine Selbstverständlichkeit, am nächsten Tag ohne physische oder psychische Probleme aufzuwachen. All das zu erledigen, worüber sich am Vortag noch Gedanken gemacht wurde - ohne gröbere Widrigkeiten. Dass es mir gerade gut geht, ist eine Glanzleistung meines Organismus. Ich müsste diesem täglich zu Dank verpflichtet sein und nach etlichen angesehenen Videos von „Kurzgesagt“ kann ich sagen, dass dies bitter nötig ist. Gesundheit ist für mich daher keine Selbstverständlichkeit und trotzdem eines dieser Themen, die vielen Menschen in meinem Alter gleichgültiger nicht sein könnten. 

In ähnlicher Weise sieht sich die siebente Kunst mit dieser Gleichgültigkeit konfrontiert. Filme auf einer Leinwand im Lichtspielhaus zu sehen, ist für mich keine Selbstverständlichkeit. Ich bin sehr dankbar dafür, großartige Geschichten in einem Kino erleben zu dürfen. Dementsprechend sollten jenen Personen mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht werden, die an einem solchen Werk beteiligt sind. Elementar dafür sind die Credits, die in einem Vor- und Nachspann zu sehen sind. Dabei werden die Namen von Personen in ihren Funktionen genannt, die an dem Werk mitgewirkt haben. Wahrscheinlich haben viele noch nie über die Wichtigkeit von Credits im Nachspann eines Films nachgedacht, denn meistens verlassen die Besucher*innen bereits den Saal, während jener beginnt. Das habe ich vielfach im Kino erlebt. Der letzte Satz, die letzte Szene, sind gerade erst vorbei, die Ersten springen auf – Exodus. 

Möglicherweise liegt in der Diskrepanz der Gestaltung der Credits zwischen dem Vor- und Nachspann der Grund, wieso ein Großteil des Publikums bereits zu Beginn des Nachspanns aufsteht und geht. In der Regel werden im Nachspann die Namen und Funktionen der Crew gleichförmig präsentiert. Anders als beim Vorspann, bei dem der Text mit dem Bild meist elegant verwoben ist, findet hier eine klare Schere zwischen Bild und Text statt. Demnach wäre der Nachspann nur ein Anhängsel und ein Zusatz zum eigentlichen Film, dem nicht wirklich Bedeutung geschenkt werden muss. Für mich gehört der Nachspann jedoch sehr wohl zum Film dazu. Ich habe das Gefühl, es scheint eine kollektive Übereinstimmung darüber zu bestehen, dass es sich nicht lohnt, den Nachspann eines Films in Gänze anzusehen. Was sagt dies über den Wert des Films als Kunstwerk aus, wenn ein Großteil der Zuschauer*innen diesen vor dem endgültigen Ende verlässt? Es wird somit keine Notiz mehr von den Menschen genommen, die dafür gesorgt haben, dass dieser Film gerade überhaupt gesehen wurde. Ich habe kein Verständnis für diese Begebenheit. Es ist, als würden jene Kinobesucher*innen der Filmkunst nicht nur den Rücken, sondern gleichzeitig auch den Mittelfinger zeigen. Ein Filmnachspann sollte immer bis zum Schluss betrachtet und der Saal erst verlassen werden, wenn der Vorhang die Leinwand wieder bedeckt. Obgleich sich die einzelnen Gewerke nicht zwangsläufig am selben Ort begegnen oder zu einem kontinuierlichen Arbeitsablauf fügen, kommen sie im Nachspann versammelt zusammen. Der Nachspann bietet die Möglichkeit, alle Menschen in einer virtuellen Versammlung zusammenzubringen und den Film als Gemeinschaftsarbeit zu akzentuieren. 

Ort, Art und Weise der Einblendung von Credits haben sich im Laufe der Filmgeschichte stark gewandelt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden in der Regel in Filmen alle relevanten Personen im Vorspann genannt und die Filme sind direkt mit der Einblendung „The End“ beendet worden, ohne dass ein Nachspann erfolgte. Durch vertragliche Regelungen und das Hinzukommen einer Vielzahl an Menschen, die seither bei Filmproduktionen tätig sind, ist es mit der Zeit nötig geworden, einen ausführlichen Nachspann zu zeigen. Hierbei wird allen Beteiligten ihre verdiente Wertschätzung ausgedrückt. Heutzutage ist es zum Standard bei der Präsentation von Credits geworden, wenn neben einem ausführlichen Nachspann zudem auf die Möglichkeit zurückgegriffen wird, einen Vorspann im Film zu verwenden. In diesem Vorspann erscheint entweder eine eigens produzierte Titelsequenz mit den wichtigsten Personen der Filmcrew und der Besetzung oder die Credits werden während der ersten Szenen im Film als Text eingeblendet. Hier ist vor allem an die obligatorische Eröffnungssequenz in den Bond-Filmen oder an die von Saul und Elaine Bass gestalteten Titelsequenzen in Filmen wie Vertigo (USA 1958, Alfred Hitchcock), West Side Story (USA 1961, Robert Wise/Jerome Robbins) oder Casino (USA 1995, Martin Scorsese) zu erinnern. Die Credits als Teil der Eröffnungstitelsequenz sind in diesen genannten Filmen selbst zu einem Kunstwerk innerhalb des Kunstwerks geworden. Ferner kann auf den Vorspann verzichtet und eine ähnliche Titelsequenz zu Beginn des Nachspanns vorangestellt werden. Die Eröffnungssequenzen oder Nachspann-Anfänge sind meistens elaborierter und ästhetisch ansprechender gestaltet als der Rest des Nachspanns. Dieser erhält dann meistens die weniger bekannten Berufszweige der Filmindustrie. 

Ein Bild von einem Auge mit dem Text "Vertigo" darüber, daneben ein blauer Hintergrund, vor dem Menschen kämpfen.
Frames von den Eröffnungssequenzen aus VERTIGO (USA, 1958, Alfred Hitchcock) und THE SPY WHO LOVED ME (GB, 1977, Lewis Gilbert).

Zurückkommend auf die Kluft in der Präsentation von Credits im Vor- und Nachspann könnte dies einer der Gründe sein, wieso das Publikum leider kaum Interesse am Nachspann zeigt. Es ist bezeichnend, da dadurch von den Rezipierenden eine klare Grenzziehung wichtiger und unwichtiger Funktionen eines Films stattfindet und eine Gewerkehierarchie offenbart wird. Wie wäre es, wenn das Ganze umgekehrt stattfinden würde? Die Gewerke, die sonst als Letztes erscheinen, werden zuerst und die Namen der Schauspieler als Letztes genannt. So wie dies zuletzt in Tár (US 2022, Todd Field) zu sehen gewesen ist. Dieses Vorgehen würde wohl an vertraglichen Regelungen und spätestens an den Egos einiger schauspielerischer Platzhirsche scheitern. Der Nachspann gehört zumindest von Seiten der Filmindustrie sehr wohl zum Film als Produkt. In den letzten Jahren wurden dahingehend einige Strategien verfolgt, um einen Nachspann attraktiver zu machen. Dadurch soll das Publikum bis zum Schluss an seine Sitze gefesselt werden. Bloopers, Outtakes, Illustrationen, eingebaute Witze oder Mid- bzw. Post-Credit-Szenen, um Unklares aufzulösen oder mögliche Fortsetzungen anzudeuten, können die Menschen dazu bewegen, bis zum Ende sitzen zu bleiben. In diesen Fällen ist es lohnend, den Nachspann zu verfolgen. Dieser Ansatz kann sowohl gelobt als auch verurteilt werden. Auf der einen Seite ist es lobenswert, da das Publikum zum Sitzenbleiben und somit auch zum Betrachten des Nachspanns bewegt wird. Auf der anderen Seite erfolgt die Würdigung der Menschen nicht aus einer intrinsischen Motivation, sondern wird von einer extrinsischen Kraft vorgenommen.

Ein Ausschnitt aus Filmcredits.
Eine Möglichkeit den Nachspann durch Gags attraktiver zu machen wie bei HOT SHOTS! (USA, 1991, Jim Abrahams).

Diese Strategien sind nur bedingt produktiv, solange das Publikum aus anderen Gründen die Vorstellung frühzeitig verlässt. Die Vermutung darüber, es gäbe während des Nachspanns keine Szenen mehr, vor allem wenn es sich um keinen Film eines Franchise handelt, kann genauso ein möglicher Grund für das vorzeitige Verlassen eines Films sein wie das Missfallen des gerade Gesehenen. Menschen fühlen sich auch durch andere Anlässe zum Verlassen des Kinos veranlasst: Sei es, dass sie das Weite suchen, weil sie Sanitäreinrichtungen aufsuchen oder öffentliche Verkehrsmittel erreichen müssen. Das ist hingegen mehr als irritierend. Können Menschen ihren Kinobesuch nicht etwas entspannter in ihren Alltag einplanen? 

Der letztgenannte Punkt kann bei der Sichtung zu Hause vor dem Fernseher nicht auftreten. Doch hat gerade das Fernsehen dieses oben beschriebene Verhalten herangezogen, da der Nachspann von Filmen bei den Fernsehsendern seit Jahren konsequent herausgeschnitten wird. Stattdessen wird während der letzten Szene des Films ein eigens vom Sender angefertigter Nachspann eingeblendet, während entweder die Szene oder Werbung im Fenster daneben zu sehen ist. Analog dazu bieten Streamingdienste mittlerweile die Funktion an, den Nachspann zu überspringen, um direkt den nächsten Titel auswählen zu können. Beides hat die Funktion, ihre Zuschauer*innen im Sinne des Programmflusses zu binden.

Eigens erstellter Filmnachspann des ZDF.
Eigener Nachspann zu MUNICH (USA/CA/FR, 2005, Steven Spielberg). 2024 zu sehen gewesen auf ZDFneo.

Alarmierender ist jedoch, dass die Kinos selbst zu dieser Praktik beitragen. Wenn der Nachspann beginnt, wird nach kurzer Zeit die Helligkeit im Saal wieder erhöht. Die Immersion reißt wie ein Vorhang, das Licht wird zu Rausschmiss. Das Fernsehen, die Streamingdienste und das Kino drücken in dieser Vorgehensweise ihre despektierliche Haltung gegenüber dem Nachspann aus. 

Zugegebenermaßen hat es nur einen geringen Unterhaltungswert, den Nachspann bis zum Schluss durchzusitzen. Wer hat schon Lust, sich minutenlang mit Namen und Positionen auseinanderzusetzen, die so zahlreich sind, dass sie nicht behalten werden können? Meist wird der Nachspann ohnehin nur schulterzuckend zur Kenntnis genommen. Es zieht an einem vorbei, so wie die Namen über die Leinwand. Ich muss mir eingestehen, dass das Betrachten der Credits im Nachspann häufig nicht meine oberste Priorität ist. Wahrscheinlich bleibe ich meist nur sitzen, um meiner Pflicht als Cineast gerecht zu werden. Viel mehr erwische ich mich dann dabei, wie meine Gedanken abschweifen und ich über das, was ich gerade gesehen habe, nachdenke. Der Versuch, meine Gedanken zu strukturieren und mich eventuell mit einer Begleitung auszutauschen, beschäftigt mich dann doch mehr als der Nachspann an sich. Die Credits erhalten von mir dabei nur kaum bis nebenher bis zerstreut Beachtung. Der Nachspann ist so selbstverständlich, dass ich ihn selbst kaum beachte. Damit kann ich die eingangs formulierten Gebote nicht erfüllen. Trotz dieses Zugeständnisses möchte ich das vorzeitige Verlassen des Saals auf keinen Fall legitimieren. Die Zeit während des Nachspanns ist ein Zwischenzustand, der sich ideal anbietet, den Film zu reflektieren und Revue passieren zu lassen. Währenddessen können Sie ihre Gedanken kreisen, abschweifen, flanieren lassen und wenigstens teilweise oder nebenher Notiz von all den Menschen nehmen, denen die Filmerfahrung zu verdanken ist. Zumindest hoffe ich, mit diesem Text erzielt zu haben, dass an meine Worte gedacht wird, wenn das nächste Mal im Kino der Nachspann einsetzt. 

SNATCH (GB, 2000, Guy Ritchie).